Etikette war früher enorm wichtig – in allen Schichten. Da konnte schon mal eine bunte Krawatte für Aufregung sorgen. An zwei Tagen im Jahr putzte sich aber selbst die bescheidenste Rheinländerin gern heraus.
Etikette, im Rheinland auch Benimm genannt, war Oma wichtig. Sogar bei den Sprechern im Fernsehen achtete sie darauf, ob diese akkurat gekleidet waren. Dabei war der Hemdkragen der kritische Punkt. Wenn Oma feststellte, „der hat et Knöpfchen auf“, war das Urteil gefällt: Das ging gar nicht und war unordentlich. Der rheinische Spezialausdruck lautet: Halfjehang. Das steht für nachlässig, nur zur Hälfte angezogen.
Und auch bei den Krawatten hatte Oma spezielle Vorstellungen. Mit dem Farbfernsehen hatte sie die Möglichkeit, ihre Kontrolle auszudehnen: zu bunt, zu wild, zu ausgefallen gefiel ihr einfach nicht. Opa hatte es da leichter. Er bekam den Binder rausgelegt – immer schön gedeckte Farben, zu Festtagen Silberkrawatte. In seiner Schusterwerkstatt trug er dagegen karierte Hemden, Knöpfchen zu, Manchesterhosen mit Hosenträgern.
Oma kannte zwei Gelegenheiten, sich herauszuputzen: Kirmes und Weihnachten. Als Schützenkönigin strahlte sie. Ansonsten war täglich Bescheidenheit angesagt: Schürze wegen der vielen Arbeit und Schluppen wegen der wehen Füße. Die Schürze war praktisch und gut und wurde notfalls auch genutzt, um dem kleinen Horst den Mund abzuwischen. Denn der Junge sollte stets ordentlich aussehen.
Opa ist früh gestorben, hatte, weil bei Feuerwehr und Schützen führend, eine „schöne Beerdigung“. Oma behielt ihren Blick für Etikette und ließ Horst zukommen, was Opa sonst an Aufmerksamkeit zugestanden hätte. Bevor es nach draußen ging, wurde kontrolliert: Haare gekämmt, Schuhe geputzt, Knöpfchen geschlossen. Und gekocht wurde, was der Junge mochte. Notfalls gab es noch schnell ein Ei en de Pann.
Unser Autor ist stellvertretender Chefredakteur. Er wechselt sich hier mit Politikredakteurin Dorothee Krings ab.
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